Über die Geschichte des Kickboxens
1974
John Rhee hatte die ersten Safety’s entwickelt. Er realisierte damit die Idee von Bruce Lee, der die Zukunft der fernöstlichen Kampfsysteme in der wachsenden Realität zum echten sportlichen Wettkampf sah. Und das hieß zu dieser Zeit Wettkämpfe mit Schutzausrüstungen. Treffen sollen, aber nicht treffen dürfen, das konnte nur theoretisch gut gehen, niemals jedoch in der nicht kalkulierbaren Bewegung zweier Kontrahenten – also Wettkämpfe mit Schutzausrüstungen.
Die ersten Safety’s wurden natürlich von vielen nicht nur skeptisch betrachtet, sondern von der großen Mehrheit kategorisch abgelehnt. Überzeugt und begeistert beschlossen Mike Anderson und Georg F. Brückner, dieses Experiment, das sich bei wenigen Wettkämpfen bereits als positiv, lebendiger und vor allem als ungefährlicher herausstellte, auch in Europa vorzustellen und dynamisch nach vorn zu treiben. Wie fängt man ein neues Kapitel Weltgeschichte an? Natürlich mit einer Weltmeisterschaft in den USA, in Los Angeles. So flogen die beiden von Mexiko nach Kalifornien, und Mike Anderson mietete die imposante „Sports Arena“, eine Halle, die 13 000 Zuschauer fasst.
Und jetzt war Europa am Zuge. Georg F. Brückner lud alle Sportler, die er kannte und von denen er gehört hatte, im Mai nach Berlin zum ersten europäischen Turnier aller Stile ein. Nach amerikanischem Muster und Regeln traten am 17. Mai 1974 in der Deutschlandhalle 88 Schwarzgurte zu diesem Experiment in die Arena. Dies war der absolute Höhepunkt, den Europa bis dahin je gesehen hatte. Hier zeigten die Amerikaner die seinerzeit unfassbare Überlegenheit ihres Könnens, neben dem jeder Meister der traditionellen Systeme verblasste. Die US-Boys trugen hierzu die ersten Safety’s und konnten deshalb natürlich alle Register ihres Könnens ziehen. Das Publikum war begeistert. Diese Show war grandios und überzeugend, das war Karate als Sport, eine neue Dimension.
1975
Voller Zuversicht und überaus begeistert beriet Georg F. Brückner mit vielen Kollegen aus Europa, wie es weitergehen sollte. Im September wurde in Berlin das zweite Turnier in Europa veranstaltet. Diesmal konnten jedoch alle Teilnehmer mit den neuen Safety’s kämpfen. 400 Kämpfer aus mehreren europäischen Ländern waren der Einladung gefolgt. Auch die Teilnahme von Taekwondo- und Kung Fu-Sportlern gaben diesem Wettkampf eine eigene Note. Jeder konnte sich überzeugen, dass mit einer guten Schutzausrüstung die Gefahren von Verletzungen gebannt waren. Eine Sternstunde für Europa.
1976
Während in den USA die ersten Profi-Kämpfe ausgetragen wurden, überlegte man, wie in Europa Anschluss an diese enorme Entwicklung der USA gefunden werden kann. Es war erstaunlich, wie viele Sportler den Schritt zum Vollkontakt wagten. Für die Europäer war das Neuland. Im Vertrauen auf ihr Können und ohne zu wissen, wie man sich im Vollkontakt vorbereiten muss, scheiterten fast alle Kämpfer an der konditionellen Voraussetzung. Hier wurde offenbar, dass man mit normalem Karate- oder Taekwondo-Training nicht bestehen konnte. In Paris wurde die erste Konzeption zur Gründung eines Weltverbandes erörtert.
1977
Im Februar wurde in Berlin dann endlich der Weltverband, die WAKO – World All-Style Karate Organization – gegründet. Gleichzeitig wurde auch der Deutsche Verband, die WAKO-Germany, ins Leben gerufen. Damit begann ein breiter Wettbewerb im Leicht- und Vollkontakt mit den ersten Deutschen- und Europameisterschaften.
1979-1986
Auch in diesem Jahr gab es noch eine Europa- und Weltmeisterschaft. Nach der 2. Weltmeisterschaft, die in Mailand abgehalten wurde, zeigte sich deutlich, was in der Gegenwart in vielen Ländern Europas eingetreten ist, nämlich eine Zersplitterung des Sports in unzählige Gruppen.
Neben der PKA machte auch eine WKA von sich reden, die durch einige Kämpfe in Japan Ansehen gewann. Diese Profiunternehmen von Privatleuten, die nie einen Verband darstellten, sondern nur geschäftstüchtige Vermarkter waren, versuchten mit Fernsehverträgen Kämpfer zu ködern und überall auf der Welt an Boden zu gewinnen. Dadurch fühlten sich diverse Möchtegern-Sportler magisch angezogen, die aus der Zweitklassigkeit eine Aufwertung witterten und in Europa ebenfalls einen so genannten Profizirkus ins Leben riefen.
Auch die WAKO erlebte eine tief greifende Krise. Selbstherrlichkeit und Egoismus führten zu Manipulationen der Statuten der demokratisch angelegten WAKO. Dies führte 1984 zu einer Eskalation und 1985 zum Bruch in zwei Lager. Der alte Original-Verband führte seine Existenz weiter. Alle Bemühungen, die unterschiedliche Auffassungen auszudiskutieren, scheiterten an neuen Postenjägern, die nun endlich einmal aus dem Schattendasein ans Licht der großen Bedeutung kamen.
So gab es 1985 zwei Weltmeisterschaften, die eine in Budapest, die andere, die Original-Gruppe, führte ihre Weltmeisterschaft wieder in London durch. Hier waren jedenfalls die besten und stärksten Nationen, die USA und Deutschland, repräsentativ vertreten.
In der Folge trug die Original-WAKO 1986 in Athen ihre Europameisterschaften aus und der andere Verband seine Meisterschaften für Vollkontakt in Paris und für Leichtkontakt in Hamburg. Während die Original-WAKO in großer Harmonie weitermachte, kam es sowohl in Paris als auch in Hamburg zu Auseinandersetzungen infolge vieler unqualifizierter Funktionäre. Dies war der Zeitpunkt, wo den führenden Persönlichkeiten klar wurde, dass die Spaltung kein Gewinn sondern nur ein Verlust war. In einigen fruchtbaren Gesprächen einigten sich die Parteien, die Zukunft wieder gemeinsam zu gestalten. Während die Original-WAKO einstimmig diesen Weg begrüßte, tat sich die andere Seite schwer. Die Wiedervereinigung hat stattgefunden. Die Münchener Weltmeisterschaft präsentiert also die WAKO wie in alten Zeiten.